Während ich 1995-2000 meine Ausbildung zur Primarlehrerin am Staatlichen Seminar Biel absolvierte, begann auch meine Karriere als Model.
Ich bin oft nach dem Unterricht von Biel nach Zürich gefahren um zu arbeiten und in den Ferien hatte ich Engagements in Milano, London oder Paris.
Ich hatte den Vorteil, dass ich mit meinen roten Haaren auffiel und von Natur aus die richtigen Masse hatte.
Es war nie ein Wunsch von mir Model zu sein, aber es ermöglichte mir schon in jungen Jahren Geld zu verdienen, die Welt zu entdecken und fremde Städte nicht als Touristin, sondern als Teil einer Industrie kennen zu lernen.
Dass die Modeindustrie später in meinem Leben eine so zentrale Rolle spielen würde konnte ich damals nicht ahnen.
Nachdem ich im Jahr 2000 das LehrerInnen Diplom erhalten hatte, wollte ich wissen, wie es ist hauptberuflich als Model zu arbeiten.
Ich war in Tokyo und New York, mein Gesicht hing gross am Time Square und ich habe schnell gutes Geld verdient.
Doch schon bald wurde mir klar, dass das nicht meine Welt ist. Ich hatte Heimweh und mir fehlte der Sinn in dieser Arbeit. Also kehrte ich zurück in die Schweiz und meldete mich an der Universität in Zürich an, um Psychologie und Medienwissenschaften zu studieren.
Als Primarlehrerin zu arbeiten, kam für mich nie in Frage. Ich bin bis heute kein Fan unseres Schulsystems. Aber ich fand die Ausbildung zur Primarlehrerin interessanter, als das Gymnasium zu besuchen. Der Gedanke, nach dem Ausbildungsweg nicht nur eine Matura zu erlangen, sondern auch ein Lehrerdiplom, mit welchem ich jederzeit sofort arbeiten könnte, erschien mir sinnvoller.
Ich hatte noch etwas Zeit bevor das Studium 2002 anfing, also meldete ich mich für eine Vikariat Stelle an einem Schulheim. Villa RA in Aathal. Rückblickend war das eine dieser Entscheidungen, die das Leben grundlegend prägt. Ich weiss noch sehr gut, wie ich erst etwas belächelt wurde. Ich war umgeben von erfahrenen Heilpädagogen, die dachten, dass das «Model» nicht lange hier sein wird.
Aber ich liebte die enge Zusammenarbeit mit den Kindern und Jugendlichen. Ich durfte individuell mit ihnen arbeiten und ihre Stärken fördern. Wir haben lösungsorientiert unterrichtet. Es gefiel mir so gut, dass ich mich entschied, das Studium abzusagen und festangestellt als Klassenlehrerin zu arbeiten.
Es war eine herausfordernde Zeit aber gleichzeitig sehr erfüllend. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich wieder einer meiner damaligen Schüler treffe. Die Erfahrung mit ihnen hat mein Leben bereichert.
Leider musste ich im 2007 von einem Tag auf den andern aufhören zu arbeiten. Mein kleiner Sonnenschein wollte viel zu früh auf die Welt kommen. Ich bekam Frühwehen und musste 3 Monate liegen. Nach der Geburt meiner Tochter veränderte sich mein Leben komplett. Ich wollte bei ihr sein und habe nach Wegen gesucht, wie ich von zuhause aus Geld verdienen konnte.
Ich fing an eigene Designer Fashion Stücke auf Ricardo zu verkaufen, was sehr gut lief.
Um eine zweimonatige Auszeit mit meiner Tochter in Thailand zu finanzieren, besuchte ich zudem Märkte und verstand sehr schnell, wie gut sich High End Stücke wieder verkaufen liessen.
So entstand 2010 nach der Rückkehr aus Thailand mein High End Secondhand Business.
Unter dem Namen Markentussi habe ich Fashion Treasures vom Keller aus oder über Facebook verkauft. Es hat Spass gemacht und lief auch ohne Konzept oder Plan wie von alleine.
Mit dem Wissen, dass ich jederzeit als Lehrerin arbeiten könnte machte ich einfach weiter.
Zeitschriften wie 20 Minuten und Annabelle wurden darauf aufmerksam und innert kürzester Zeit hatte ich ganz viele Kunden, die mir Treasures zum Verkaufen vorbeibrachten und andere Treasures kauften.
Damals war der Verkauf von Secondhand noch nicht so selbstverständlich wie heute. Es war etwas Neues. Dank meinen Kontakten zu der Fashion Szene kamen aber immer mehr interessante Zusammenarbeiten dazu.
Der erste Onlineshop entstand, und 2013 eröffnete ich meine erste Boutique.
Sie ist immer noch das Herzstück unseres Unternehmens.
Bis zu dem Zeitpunkt habe ich alles alleine gemacht. Ich bekam immer mal wieder Hilfe von Freunden bei einem Event oder für Grafik Umsetzungen, IT Support etc. Aber das Daily Business lag alleine bei mir. Ich wusste wieviel Umsatz ich machen musste, damit ich alle Rechnungen bezahlen kann und damit meine Kleine und ich leben konnten.
Zeit mit ihr zu verbringen war meine absolute Priorität und so blieb die Boutique auch mal zu.
Ich hatte zu dem Zeitpunkt keine beruflichen Visionen oder Ambitionen. Alles drehte sich darum, dass meine Tochter gut umsorgt und versorgt ist und dazu gehörte für mich so viel Zeit wie irgendwie möglich mit ihr zu verbringen. Ich bin unendlich dankbar, dass auch wenn es manchmal finanziell sehr eng wurde, immer alles gut verlaufen ist.
Da waren oft sehr viel Glück und Vertrauen in das Gute dabei.
Als meine Tochter grösser wurde und mich nicht mehr so oft brauchte, wurde meine Arbeit wieder wichtiger. Ich wusste, dass der High-End Secondhand Hand sehr viel Potential hat. Aber ich wusste auch, dass sich etwas verändern muss, da ich mich nicht zu 100% mit dem identifizieren konnte, was ich tat.
Mir waren High End Marken nie wirklich wichtig. Auf was ich aber immer schon grossen Wert legte, ist Qualität und Materialien. Ich hatte nie verstanden wie respektlos oder gleichgültig viele von uns mit diesen wertvollen Ressourcen, welche da verarbeitet wurden, umgehen.
Gerade bei Leder realisieren viele nicht was es braucht, bis dieses Leder zu der Tasche verarbeitet ist, welche sie um die Schulter tragen. Aber auch Seide, Cashmere, Wolle, Cotton… Mutter Erde hat nicht unendlich viel davon.
Da wusste ich, dass ich es mir zu der Aufgabe machen wollte, meine Kundschaft darauf zu sensibilisieren, was sie einkaufen. Die Fashion Industrie ist eine der schmutzigsten Industrien der Welt.
Es ist längst überfällig, dass wir darauf aufmerksam machen, welche Macht unser Konsumverhalten hat.
Und so entstand 2017 die Marke REAWAKE; das Wiedererwecken von bereits produzierten Fashion Treasures. Ich bekam Hilfe von motivierten Bekannten, die neben ihrem 100% Job mit mir für REAWAKE arbeiteten. Dank ihrer Hilfe konnten wir wachsen. Aber ich war immer noch selbständig und führte eine Einzelfirma. Erst im Februar 2020 gründeten wir eine GmbH und seither bin ich Gründerin und CEO von REAWAKE.
Selbständig und unabhängig zu sein hatte viele Vorteile, aber nun da meine Kleine bereits eine junge Frau ist, bin ich bereit für eine grosse Veränderung.
Diese hat mit der Kooperation im März 2020 mit Jelmoli bereits begonnen. Ähnlich wie High-End Second vor 10 Jahren etwas Neues war, so ist auch die Kooperation mit Jelmoli die erste dieser Art in der Schweiz. Innerhalb der letzten 13 Monate sind wir zu neun Festangestellten herangewachsen. Momentan sind wir gerade auf der Suche nach zwei weiteren Mitarbeitern. Viele spannende Projekte warten dieses Jahr auf uns…
Wir sind bereit die Welt mit REAWAKE zu erobern. The future of fashion is circular! Ich freue mich.
SWONET: Was fasziniert und begeistert Dich an Deiner Arbeit?
Rea Bill: Dass ich meine Arbeit gar nicht als Arbeit wahrnehme. Sie ist Teil von mir, von meinem Leben. Ich bin ständig am Arbeiten. Ich sage immer ich habe zwei Babys. Meine Teenager Tochter und REAWAKE. Ich kann mir ein Leben ohne meine Firma gar nicht vorstellen. Ähnlich wie bei einem Kind gibt es schwierige Zeiten und sehr anstrengende Stunden. Aber ich liebe sie von ganzem Herzen.
SWONET: Wie hast Du den Begriff Karriere nach der Ausbildung gesehen und wie siehst Du Karriere heute?
Rea Bill: Als junge Erwachsene war Karriere für mich etwas, für das ich erst jahrelang studieren muss, um beruflich etwas zu erreichen. Dieses Bild hat sich für mich geändert: Nun weiss ich, dass eine Karriere ihre eigenen Wege geht. Egal welche Ausbildung du gemacht hast, wichtig ist mit offenem Geist und Herzen durch das Leben zu gehen. Chancen liegen oft direkt vor der eigenen Nase, alles was es braucht ist eine Portion Mut sie wahrzunehmen und umzusetzen.
SWONET: Welchen Tipp kannst du Berufseinsteigerinnen oder Gründerinnen geben?
Rea Bill: Keine Angst davor zu haben, die eigenen Träume zu verwirklichen und dem Herzen zu folgen. Gerade hier in der Schweiz haben wir so viele Möglichkeiten unsere Ideen umzusetzen.
Und geduldig sein. Oft klappt nicht alles sofort so wie wir uns das vorstellen. Aber wenn einem etwas wirklich wichtig ist, lohnt es sich dafür zu kämpfen und nicht aufzugeben. Wir sind viel stärker als wir denken.
SWONET: Wie startest Du in den Tag?
Rea Bill: Mit tausend Gedanken im Kopf. Ich durfte lernen diese erst einmal zur Seite zu legen und mich meinem Dankbarkeitstagebuch zu widmen. Jeder Tag ist ein Geschenk und mir aufzuschreiben für was ich dankbar bin, hilft mir mich immer wieder auf das Gute zu konzentrieren.
Denn Gutes ist immer da. Auch wenn es nur die warme Bettdecke ist, für die ich dankbar bin, oder der Regentropf auf meiner Hand.