Der Verein ALBA – „Avocates à la Barre“ resp. „Anwältinnen in der Anwaltschaft“ – erhält anlässlich seines zwanzigjährigen Bestehens einen Förderpreis.
Dieser Förderpreis soll Personen und Institutionen ermuntern, ihr Ziel der insbesondere rechtlichen, aber auch faktischen Gleichberechtigung der Geschlechter weiter zu verfolgen.
Zwanzig Jahre ist ein Alter, in dem man erwachsen geworden ist und schon gewisse Erfolge vorweisen kann, ein Alter, in dem Ermutigung vielleicht nicht mehr unbedingt notwendig ist.
Und doch: Zwanzig Jahre sind eine kurze Zeitspanne, wenn es darum geht, Mentalitäten fundamental zu verändern.
Ein solcher Wandel dauert sehr lange, und benötigt insbesondere in einem männerdominierten, eher konservativen Umfeld einen langen Atem. ALBA ist ein solches Einwirken auf die Veränderung des Bildes von Frauen im Anwaltsberuf teilweise gelungen, aber es gibt noch einiges zu tun.
Das beweist nur schon das Thema dieses Schweizerischen Anwaltstages. Heute wundert es niemanden mehr, dass es einen Verein gibt, der die Ausübung des Anwaltsberufs durch Frauen fördern und erleichtern soll.
Die Association ALBA versucht dieses Ziel insbesondere dadurch zu erreichen, indem sie Geschlechterstereotypen in der Ausbildung und in der Ausübung des Anwaltsberufs sichtbar macht und bekämpft.
Vor zwanzig Jahren war das jedoch noch überhaupt keine Selbstverständlichkeit. ALBA wurde im März 2001 in Lausanne von vier Anwältinnen gegründet – am 8. März, dem Internationalen Tag der Frauenrechte. Die zukünftige erste Präsidentin des Waadtländer Anwaltsverbands, Antonella Cereghetti Zwahlen, war eine der Gründerinnen. Diese vier Freundinnen und Anwältinnen hatten die gleichen Erfahrungen machen müssen: Obwohl sie alle über eine 2 hervorragende Berufsausbildung, ein Studium und bestandenes Anwaltsexamen verfügten, und Spezialistinnen in qualifizierten Rechtsgebieten waren, blieben ihnen die meisten Berufskarrieren verschlossen, die ihren männlichen Anwaltskollegen, die häufig nicht einmal über gleich gute fachliche Qualifikationen verfügten, ohne weiteres offenstanden.
Die Gründungsmitglieder von ALBA mussten zur Kenntnis nehmen, dass Unternehmen, Banken, Versicherungen und Behörden überwiegend männliche Anwälte anstellten. Als ob Anwältinnen nur für Scheidungen, Unterhaltsrechte oder Sorgerecht, somit familienrechtliche Fragen, als kompetent gelten könnten. Frauen konnten und können teilweise leider noch immer, allenfalls weibliche Opfer von Sexualstraftaten verteidigen, aber sicher nicht männliche Täter von Straftaten, ob im Bereich des Sexualstrafrechts oder anderer Delikte, beispielsweise im Wirtschaftsstrafrecht oder bei Vermögensdelikten.
Deshalb gründeten diese Pionieranwältinnen die Association ALBA, die ein soziales Netzwerk, den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen seinen Mitgliedern, insbesondere durch Mentoring, schafft und pflegt.
Die Gründung von ALBA provozierte und rief viele Skeptiker und Kritiker auf den Plan – an vorderster Front am Gericht zugelassene Anwälte („avocats à la barre“ und damit Mitglieder im kantonalen Anwaltsverband). An Spott hat es nicht gemangelt. Ein Anwalt sagte zum Beispiel, er wolle eine eigene Vereinigung gründen: «Anwälte an der Bar» („avocats au bar“).
Das dämpfte jedoch weder den Enthusiasmus der Gründerinnen noch der auf sie folgenden Mitglieder und Mitstreiterinnen: Sie trugen viel dazu bei, dass sich ALBA weiter entwickelte und einiges an Einfluss gewinnen konnte, was der SAV nun mit diesem Förderpreis honoriert.
Die Association ALBA hat sich als Gesprächspartnerin des Waadtländer Anwaltsverbands bei wichtigen Projekten etabliert. Am bemerkenswertesten war eine Umfrage unter mehr als 400 Personen. Diese Umfrage ergab, dass fast 30 % der Befragten sexuelle Belästigung innerhalb der Anwaltschaft erlebt haben, Zeugin oder Zeuge davon geworden oder über sexuelle Belästigung anderer Personen informiert worden sind. Opfer sexueller Belästigung waren mehrheitlich Anwaltspraktikantinnen (avocatesstagiaires).
Dies war der erste Schritt in einem wichtigen Prozess, an dem die Association ALBA, der
Ordre des avocats vaudois und der Jeune Barreau beteiligt waren. Die Bemühungen der AssociationALBA haben dazu beigetragen, innerhalb des Anwaltsverbands einen Massnahmenplan resp. ein Dispositiv gegen sexuelle Belästigung zu etablieren. Teil dieser Massnahmen sind offensive Informationen zum Thema und die Schaffung eines Netzwerks von Vertrauenspersonen, bei denen sich Betroffene melden können.
Der SAV ist sich bewusst, dass noch viel Arbeit zu leisten ist, insbesondere auch bei der Änderung vonVorurteilen zu den Fähigkeiten und Karrieremöglichkeiten von Anwältinnen, was ja die Antriebsfeder für die Gründung von ALBA war. Deshalb vergibt der SAV nun auch diesen „Ermutigungs“-Preis im Sinne eines „prix d’encouragement“. Der Anwaltsberuf ist in den letzten zwanzig Jahren zwar um vieles weiblicher geworden, aber es bleiben noch viele Problemfelder und Fragestellungen wie in den Anfängen von ALBA.
ALBA ist wichtiger denn je, und vielleicht führt die Vergabe dieses Förderpreises zu ähnlichen Initiativen auch in anderen kantonalen Anwaltsverbänden. Bitte macht weiter so!
Laudatio (Agnes Dormann)