Emilie Kempin-Spyri-Preis 2021 – Zita Küng

ZITA

Auf die Frage, welche Gefühle die Verleihung des Emilie Kempin-Spyri-Preise in ihr wecken, kommt Zita Küng spontan die leuchtend blaue, riesige Chaiselounge von Pippilotti Rist, bestickt mit Namen, Titel und Lebensdaten von Emilie Kempin-Spyri, in den Sinn.

Dieses Sofa wurde anlässlich eines Symposiums an der Universität Zürich in Erinnerung an die erste Privatdozentin in der Schweiz und an der Universität Zürich im Januar 2008 enthüllt.

Und dass die an diesem Symposium referierende Jus-Professorin Beatrice Weber-Dürler zum Wandel der Rechtsanschauung im Hinblick auf Gleichstellungsfragen seit Emilie Kempin-Spyri gesagt habe:
„Ich bin die zweite Dozentin“.

Es seien grosse Schuhe, in die Zita Küng mit der Verleihung des mit Emilie Kempin-Spyri-Preises trete, aber auch eine grosse Ehre und Freude. Emilie Kempin-Spyri sei eine grosse Referenz für sie, und es gelte noch ganz viel über das Werk von Emilie Kempin-Spyri aufzuarbeiten.

Die Worte des Historikers Jakob Tanner, der Emilie Kempin-Spyri in seinem Vortrag an besagtem Podium im Januar 2008 als „pragmatische, flexible, erfinderische, innovative» Frau beschrieb, die «mit unverwüstlichem Willen zur Selbstbehauptung» das «aufklärerische Versprechen der bürgerlichen Gesellschaft nach Gleichheit und Anerkennung einforderte und dabei aktiv an der Gestaltung der sozialen Verhältnisse mitwirkte», könnte aber auch als Beschreibung der Persönlichkeit von Zita Küng gelten.

Das Thema Gleichberechtigung wurde Zita Küng als junge Frau „vor die Füsse geworfen“, und es hat sie seither nie mehr losgelassen. In ihrer Familie gab es ein Muster: Für die zwei Buben und die zwei Mädchen galten immer gleiche Rechte und Pflichten, „das war keine juristische Formel“. Erst als sie langsam erwachsen wurde, war für Zita Küng plötzlich nicht mehr klar, was für eine junge Frau gilt, was sie darf und was nicht. In der neuen Frauenbewegung, die aus den 68-er Bewegungen entstand, konnte 2 sie ihre Fragen, ihr Unwohlsein, ihre Wahrnehmungen der Realität ausdiskutieren und einordnen.

Alle Anliegen wurden ernst genommen, die herrschenden Strukturen und Ordnungen analysiert. Die Frauenbewegung – sie war Gründungsmitglied der OFRA – hat ihr einerseits als Person „Zita Küng“, aber auch bezüglich allgemeiner politischer und sozialer Fragestellungen eine Heimat gegeben.

 

Zita Küng hatte den Plan, die Gesellschaft fundamental zu verändern. Einmal diese Erkenntnisse über die gesellschaftlichen und rechtlichen Realitäten gewonnen, konnte sie sich nicht mehr aus dieser Diskussion verabschieden und sich ins Private zurückziehen. Mit ihrer Haltung legte sie sich natürlich mit vielen, insbesondere mit den konservativen Kreisen an. An der Ausstellung zu 50 Jahre Frauenstimmrecht landesmuseum.ch/frauenrechte findet man eine Kopie der ab 1981 wegen ihres Engagements in der OFRA über sie angelegten Fiche des Nachrichtendienstes.

Intellektuelle Neugier und Herausforderung, aber auch das Bedürfnis, die Strukturen, die Mechanismen und die Normen zu kennen, welche die Gesellschaft prägen, führten zum Entschluss, dass Zita Küng nach ihrem Musikstudium das Jusstudium aufnahm. Aber auch die Erkenntnis, dass sie mit einem Leben als Musikerin nicht die Unabhängigkeit gehabt hätte, ihr Leben zu verdienen und in ihrer „Freizeit“ ihre grosse Passion leben zu können.

Für Zita Küng stand das Faktische, das Aufbrechen der „patriarchalen Schwerkraft“, wie sie das allumfassende Phänomen der Machtstrukturen nennt, im Vordergrund. Sie enterte mit ihren Mitstreiterinnen in der OFRA Podien, zu denen die OFRA natürlich nie eingeladen wor-den ist. Zita Küng und ihre Mitstreiterinnen suchten das Gespräch mit Menschen auf der Strasse, organisierten beispielsweise Strassentheater, ein Hearing mit den damaligen Ständeräten des Kantons Zürich im Nachgang zum ersten Frauenstreiktag 1991 zum Entwurf des Gleichstellungsgesetzes, das 1996 in Kraft trat, und anlässlich vieler anderer Veranstaltungen.

Zita Küngs Engagements lesen sich wie ein Abriss der Geschichte der langsamen, immer noch laufenden rechtlichen Gleichstellung der Frauen in der Schweiz. Sie setzte sich schon Anfang der 70er Jahre für die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ein. Dieser Kampf sollte erst 2002 mit der Einführung der Fristenlösung gewonnen werden. Aber auch bei allen anderen wichtigen Gleichstellungsthemen war sie engagiert mit Aktionen, Unterschriftensammlungen und Abstimmungskampagnen: Volksinitiative «Gleiche Rechte für Mann und Frau» (1976/1977 Unterschriftensammlung und 1980 Leitung der Abstimmungskampagne), Initiative für die Fristenlösung 1975/1977, Volksinitiative für einen «wirksamen Schutz der Mutterschaft» (1977/78 Unterschriftensammlung, 1984 Abstimmungskampagne), Abstimmungskampf für das neue Eherecht 1985/86. Und erst vor kurzem für die Gleichstellung der Bäuerinnen in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht, was leider am Widerstand des männlich dominierten Bauernverbands scheiterte.

 

Nach ihrem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Zürich (1981 bis 1987) arbeitete Zita Küng als Gerichtsschreiberin am Bezirksgericht Dielsdorf. Während dieser Zeit war sie politisch sehr aktiv, als Kantonsrätin im Kanton Zürich (1983 – 1987), die Gruppe „Frauen macht Politik!“ und auch für die Gewerkschaft Bau und Holz als „aktive Figur der Streikorganisation in Zürich“ laut einem Bericht zum Frauenstreik 1991 (Wikipedia) Ab 1979 führte sie für zwei Jahre als nationale Sekretärin die OFRA (Organisation für die Sache der Frau, 1977 bis 1997). 1981 klagte Zita Küng mit den Juristinnen Elisabeth Freivogel, Claudia Kaufmann und Brigitte Pfiffner Rauber im Rahmen eines Zivilprozesses gegen Offiziere der Schweizer Armee, die Pistolenschiessen auf Bilder nackter Frauen veranstalte-ten. Wenn man die im Bericht der OFRA wiedergegebenen Argumente des Gerichtspräsidenten, welcher das Sühneverfahren durchführte, liest, wähnt man sich im falschen Film! Selbstverständlich war die OFRA nicht aktivlegitimiert, um die Persönlichkeitsrechte und die Würde der Frauen in einer Zivilklage zu vertreten. 3 Immerhin wäre ein solches Gebaren im Militärdienst heute – hoffentlich – undenkbar! Dank solcher auch medial unterlegter Aufschreie von Vertreterinnen der eher streitbaren, linken und engagierten Frauen hat sich einiges geändert.

 

Nach einer Volksabstimmung in der Stadt Zürich, bei der mehr als zwei Drittel des Stimm-volks für die «Förderung der Gleichstellung von Mann und Frau» stimmten, richtete die Stadt Zürich in einem „politischen Zeitfenster“, wie das Zita Küng nennt, das sogenannte «Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann» ein, dessen Coleitung Zita Küng von 1990 bis 1996 innehatte. In dieser Zeit führte sie zahlreiche Kampagnen und Sensibilisierungsaktionen durch, unter anderem mit der Kampagne «Männergewalt macht keine Männer» bei der städtischen Polizei, wo es um die Änderung des Einsatzdispositivs bei häuslicher Gewalt ging, oder an allen Zürcher Schulen im Hinblick auf eine weniger stereotype erste Berufswahl. Auch griff das Büro unter ihrer Ägide erstmals in der Schweiz die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz auf.

Spätestens seit ihrer Anstellung als Coleiterin des Gleichstellungsbüros der Stadt Zürich konnte Zita Küng ihre Berufung zu ihrem Beruf machen: Seit 1999 arbeitet Zita Küng als Expertin und Beraterin in Geschlechterfragen selbständig und fördert die Strategie Gender Mainstreaming in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

 

Zita Küng fördert die Grundlagenforschung im Gleichstellungsbereich durch verschiedene Aktivitäten. So gründete sie 1995 die Stiftung und einen Verein FRI – Schweizerisches Institut für feministische Rechtswissenschaft und Gender Law, www.genderlaw.ch, in dessen Stiftungsrat und Vorstand sie nach wie vor tätig ist. Vor 20 Jahren, im Jahr 2001, gründete sie den Verein Juristinnen Schweiz www.lawandwomen.ch mit und war in dessen Vorstand aktiv bis 2020. Weiter ist Zita Küng Mitgründerin und Vorstandsfrau der feministischen fakultät (www.feministische-fakultaet.org). Sie leitet Weiterbildungsformate zu rechtlichen Themen aus feministischer Perspektive und schreibt auch Sachbücher zu Gleichstellungsthemen.
Zita Küng hat ihr Leben in den Dienst der Gleichstellung von Frauen mit Männern in der Gesellschaft und im Recht gestellt. Sie sieht den persönlichen Diskurs, das Gespräch mit Menschen aus unterschiedlichen Lebensrealitäten als wichtige demokratische Aufgabe, die momentan etwas verloren gegangen ist. Deshalb engagiert sie sich als Präsidentin des Vereins CH2021, der seit 2018 das 50JahreJubiläum des Stimm- und Wahlrechts für Schweizerinnen bekannt macht und vorantreibt www.ch2021.ch.

 

Zita Küng ist eine ausserordentlich mutige Frau, die mit ihren Mitstreiterinnen viel erreicht hat. Sie hat deshalb den Emilie Kempin-Spyri Preis aus Sicht der Jury sehr verdient.

 

Laudatio (Agnes Dormann)

zita2

Sponsoring