Lena Steiner im Interview mit evecommerce. Sie ist verantwortet als Head of Business Development & Digital / IT bei der Saviva AG unter anderem die Weiterentwicklung des Digitalbereichs auf Ebene Geschäftsleitung. Die Inhaberin eines Masters in Food Science der ETH Zürich war davor als Inhouse Business Consultant bei der Migros Industrie tätig und sammelte unter anderem als Management Trainee Erfahrungen in unterschiedlichen Business Units und Prozessbereichen.
evecommerce: New-Integrale, seit knapp zwei Jahren entwickelt ihr diese Plattform für die Gastronomie. Was steckt dahinter?
Lena Steiner: Saviva ist bekannt als Gastro-Belieferungsgrosshändler – unsere Kernkompetenzen sind die Beschaffung, der Kunden-Auftragsprozess sowie die Logistik zum Kunden.
Bereits seit 2007 sind wir stark im eCommerce unterwegs, den Grossteil unseres Umsatzes generieren wir über unsere Online-Plattform. Im Vergleich dazu werden im B2C Food Online-Markt nur unwesentliche Umsätze generiert – Food wird weiterhin grösstenteils stationär beschafft.
Als Gastro-Grosshändler bewegen wir uns jedoch im B2B Bereich mit sehr hohen, individuellen Ansprüchen und hohem Kostendruck. Der Gastronom hat heute kaum mehr Zeit, um im Cash&Carry seine Ware einzukaufen. Somit ist der Beschaffungsweg über eine digitale Lösung (Plattform/EDI) stark wachsend. Unsere bisherige eCommerce-Lösung haben wir von einer Agentur eingekauft und wurde über Jahre sehr spezifisch entwickelt.
Im Rahmen der Strategieentwicklung haben wir im 2016 entschieden, dass wir unsere eCommerce Plattform komplett erneuern und in eine eigene Dienstleistungsplattform spezifisch für den Food Services Markt investieren möchten. Unser Ziel ist es, Vorreiter im Thema digitales Ökosystem für unsere Branche zu sein und somit echte Mehrwerte für die Kunden zu schaffen.
evecommerce: Saviva im E-Commerce: Wo steht ihr, wo wollt ihr hin und wie hat sich das Corona-Jahr auf diese Pläne ausgewirkt?
Lena Steiner: Im Prinzip ist Saviva seit Jahrzehnten ein digitales Business, ähnlich wie ein klassischer Onlinehändler, mit einem physischen Lager und digitalen Prozessen. Das heisst, der Kunde (meist Küchenchefs, F&B Manager, etc. aus Restaurants, Hotels, Heimen oder Spitäler) bestellt seinen Bedarf an Food und Non/Near Food auf unserer digitalen Plattform. Da es sich dabei um Profis und somit deren Arbeitszeit handelt, ist Effizienz im Ablauf sowie OneStopShopping absolut Key. Zudem bieten wir den Kunden diverse zusätzliche Funktionalitäten.
Jeder Kunde hat sein individuelles Profil, auf welchen seine spezifischen Beschaffungsprozesse und Sortimente/Preise abgebildet und Lösungen für seine Lagerhaltung und Inventarisierung enthalten sind. Unser Ziel ist es, dem Kunden seine Abläufe zu vereinfachen und ihm die beste digitale Dienstleistungsplattform anzubieten, damit er sich auf sein Kerngeschäft fokussieren kann. Die neue Plattform ist in Form eines MVPs seit Herbst 2020 live.
Aktuell sind wir einerseits am Onboarding der Kunden sowie stark an laufenden Weiterentwicklungen. Aufgrund Corona konnte die Migration der Kunden nicht in der gewünschten Geschwindigkeit erfolgen, viele Betriebe sind geschlossen oder auf Kurzarbeit. Anders als in anderen Branchen hat Corona im Gastrogewerbe wenig direkten Impact auf die Digitalisierung.
Wir gehen zudem davon aus, dass die überlebenden Betriebe über weniger Finanzmittel verfügen und in der post-Corona-Zeit weniger investieren können. Unsere Lösung stellen wir jedem Kunden kostenlos zur Verfügung und helfen ihm damit, seine Prozesse zu digitalisieren.
evecommerce: Ihr verkauft nicht nur Produkte, sondern auch Services. Welche Services sind besonders gefragt und welche Unterschiede zwischen den Zielgruppen könnt ihr ausmachen?
Lena Steiner: Wir wollen mit unserer digitalen Plattform dem Kunden seine Arbeit erleichtern – mit Services rund um den Beschaffungsprozess. Grössere und komplexere Kunden bestehen beispielsweise aus mehreren Betrieben und haben teilweise zentrale Einkäufer.
Auf unserer Plattform kann der zentrale Einkäufer seine Betriebe managen – Sortimente verwalten, seine internen Lagerstrukturen und Beschaffungsstrukturen abbilden sowie mit den Betrieben kommunizieren. Zudem bieten wir zum Beispiel ein Inventurmodul, ein Drittartikelmodul und natürlich ein Statistik-Modul an.
Die Architektur unserer Plattform ist so konzipiert, dass wir modular Services aufbauen und integrieren können. Ein wichtiges Feature ist auch unsere Scanner-Funktion. Geräteunabhängig kann nun der gewünschte Artikel gescannt und so in den Warenkorb oder eben auch in die Inventur gelegt werden. Wir entwickeln die Plattform laufend weiter und möchten zum wichtigsten digitalen Ökosystem für den Schweizer Food Service Markt werden.
evecommerce: Das Konsumverhalten ändert sich, es wird mehr Wert auf Nachhaltigkeit und gesunden Konsum gelegt – spürt ihr diese Veränderungen im B2B und wie reagiert ihr darauf?
Lena Steiner: Auch im Food Service Bereich spüren wir diese Tendenz – vor allem vor Corona. Mit Corona hat sich die betriebswirtschaftliche Situation unserer Kunden stark zugespitzt und der Fokus verlegt sich wieder vermehrt auf gute Preise und weniger auf Mehrwerte. Wir passen in diesem Zusammenhang laufend unser Angebot der Nachfrage an und setzten auch auf nachhaltige Technologien.
evecommerce: DasImmer mehr B2B-Anbieter verkaufen auch an den Endkunden (B2C) – eine Option für euch und weshalb (nicht)? Welche Möglichkeiten bietet euch eure neue Plattform, New-Integrale, diesbezüglich?
Lena Steiner: Saviva ist der Partner für Profi-Kunden. Die Ansprüche sind sehr spezifisch und business-prozess getrieben. Dies widerspiegelt sich im Angebot sowie in den Services, welche wir anbieten. Eine Öffnung für den B2C-Markt bedarf grösserer Anpassungen in den Strukturen (insb. in der Logistik).
Ein Beispiel: der Profi-Kunde möchte möglichst eine gebündelte Anlieferung über all seine Bestellungen (diverse Lieferanten, gekühlte, ungekühlte & tiefgekühlte Ware), welche dann auch beim Kunden in seine Lagerzonen verbracht wird. Diese logistische Leistung ist eine Kernkompetenz von uns – entsprechend liegt der durchschnittliche Warenkorb bei uns bei über CHF 1’000.
Ein Einstieg in den B2C Markt würde den Fokus verschieben und wir würden unseren Kundenbedürfnissen nicht mehr gerecht. Nichtsdestotrotz beobachten wir den B2C Markt stark – insbesondere im Bereich der UX sind die Erwartungen an eine B2B-Plattform mindestens gleich hoch wie an eine B2C-Plattform. Die Erfahrungen unserer Kunden in ihrem privaten Umfeld z.B. auf Zalando widerspiegeln sich in den Erwartungen an die Business-Lösungen. Somit ist der Druck auch im B2B hoch, stetig auf dem neuesten Stand der Technologie zu sein.
evecommerce: Mehr Diversität im Digital Commerce: Warum setzt du dich dafür ein?
Lena Steiner: Meine Erfahrung deckt sich mit den heutigen Kenntnissen: diverse Teams sind erfolgreicher. Mir ist wichtig, dass Diversität nicht nur auf Gender reduziert wird, sondern als eine Vielfalt von Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen, Erfahrungen etc. verstanden wird. Ist dies gegeben, so wird ein Thema viel vielseitiger betrachtet und diskutiert – manchmal wird auch gestritten. Wichtig ist es, dass dies auch gefördert und zugelassen wird. Nur so entstehen neue Ideen und Lösungen.
Die Genderthematik steht insbesondere deswegen im Mittelpunkt, weil die Teams vor allem in der IT / Entwicklung tatsächlich sehr häufig männerdominiert sind. Es ist grundsätzlich falsch, wenn solche Teams eCommerce-Produkte entwickeln, welche beispielsweise primär von Frauen genutzt werden. Dies hat aber auch nicht ausschliesslich mit fehlender Diversität sondern auch oft mit fehlendem Grundverständnis für das effektive Kundenbedürfnis zu tun.
Insbesondere in der IT Branche ist es heute leider oft schwierig, ausgewogene Teams aufzubauen. Bei Saviva sind wir diesbezüglich sehr gut unterwegs – in meinem Team (d.h. der gesamten IT inkl. Entwicklung) haben wir einen Frauenanteil von 40%. Ich freue mich immer sehr und achte auch bewusst darauf, gute Frauen einzustellen oder in Führungspositionen zu befördern.
Das Interview auf evecommerce