«Studierende werden nicht dümmer durch KI, aber sie können klüger wirken, als sie sind»

Digital

watson – Juliette Baur

Die künstliche Intelligenz wirkt sich auf die verschiedensten Lebensbereiche aus – nun auch auf die Hochschulen. Die KI-ChatGPT soll sogar perfekte Arbeiten abliefern können. Wie die Universitäten damit umgehen, hat watson Hochschulpräsident Robert Lepenies gefragt.

Auf den ersten Blick scheint die auf künstliche Intelligenz (KI) basierende Software ChatGPT ein Meister aller Klassen zu sein. Diese KI kann beinahe alles: Sie stellt Rezepte zusammen, wenn man ihr sagt, welche Zutaten man zu Hause hat. Sie schreibt aber auch ein Gedicht über das eigene Lieblingsgetränk.

Wenn man die ChatGPT-Software auffordert, verfasst sie auch die gesamte Einleitung und das Inhaltsverzeichnis einer Seminararbeit über den Untergang des Weströmischen Reichs. Oder sie erörtert in einem Essay, was die Persönlichkeitstheorie von Sigmund Freud genau ist.

Mehr über ChatGPT

Die neue Technologie könnte die Gesellschaft in vielen verschiedenen Bereichen verändern. Vor allem die Hochschullandschaft könnte von den Entwicklungen der KI beeinflusst werden.

Robert Lepenies, Präsident der deutschen Universität Karlshochschule, hat sich in einem Twitterthread ausgiebig über das ChatGPT geäussert. watson hat mit ihm über die Herausforderungen und Chancen der KI im universitären Kontext gesprochen.

Die Digitalisierung hat bereits sehr viel auf den Kopf gestellt – was ist jetzt mit dem ChatGPT neu?
Robert Lepenies: (lacht) Das ist eine ziemlich weitreichende Frage. Ich vergleiche die jetzige Entwicklung mit dem Aufkommen der Smartphones. Erst als das iPhone auf den Markt kam, wollten alle ein Smartphone haben. Dasselbe passiert jetzt bei ChatGPT und der künstlichen Intelligenz.

Ist sie so bahnbrechend?
Ich finde nicht unbedingt, auch nicht, dass sie so innovativ ist. Ich vermute eher, dass die Technologie in der gesamten Gesellschaft jetzt breiter genutzt wird. Diese Beobachtung haben auch Studierende und Kolleginnen und Kollegen von mir in der Verwaltung und in der Lehre gemacht.

Sprechen wir doch über diese Studierenden. Wie wird KI die Hochschullandschaft verändern?
Es ist eine höchst ambivalente Entwicklung. Je nachdem, mit welcher gesellschaftskritischen Brille man auf diese Entwicklung schaut, desto pessimistischer könnte man werden. Die Effizienzgewinne liegen auf der Hand, auch die Vereinfachung vieler Arbeiten.

Sie sind also nicht gegen die KI an Hochschulen?
Ich ermuntere alle Studierenden, diese Tools zu nutzen. Aber gleichzeitig müssen wir die Frage stellen: «Was ist die Erwartung von Studierenden, die an Universitäten kommen?» Problematisch wird es, wenn sie denken: «Mit diesem Tool kann ich alle Texte schreiben, dann kann ich hier gar nichts mehr lernen.» Dieser Rechtsfertigungsaufgabe müssen sich die Universitäten stellen. Da brauchen wir gute Antworten.

 

«Die Studierenden werden nicht dümmer durch das Tool, aber man kann vortäuschen, dass man klüger ist, als man eigentlich ist.»

 

Je nach Studienfach müssen die Studierenden also fast keine Eigenleistung mehr erbringen. Werden die Studierenden dümmer?
(lacht wieder) Nein. Man könnte auch behaupten, dass die Studierenden durch Wikipedia dümmer geworden sind. Was offensichtlich nicht stimmt. Es ist ein weiteres Hilfsmittel und ein Tool, das intelligent oder weniger intelligent genutzt werden kann. Die Studierenden werden nicht dümmer durch das Tool, aber man kann vortäuschen, dass man klüger ist, als man eigentlich ist.

Also verschieben sich die Kompetenzen?
Ja. Das Infragestellen dieser Systeme muss gleichzeitig gelernt werden, das sehe ich aktuell kaum. Schlussendlich kommt es auch auf das Angebot der verschiedenen Unis an. Die alten Prüfungsformen sehe ich aber unter Druck. Dies wird für Hochschulen ein Problem, die sehr textbasiert arbeiten. Da muss man kreativ werden und sich Alternativen überlegen.

Haben Sie sich schon Gedanken darüber gemacht, wie man allfällige Schummelversuche aufdecken und die Nutzung des Tools untersagen kann?
Nein, das sehe ich als die falsche Art der Diskussion. Das ist so, wie wenn man sich damals, als das Auto erfunden wurde, gefragt hätte, wie man Autos verbieten kann. Natürlich gibt es Wege dafür. Aber diskutieren wir doch darüber, ob wir im gleichen Bild gesprochen, jetzt jede Innenstadt umbauen müssen, damit überall und immerzu Autos fahren können. Klar, der Kontrollwunsch kommt jetzt auf, aber eigentlich müssen wir jetzt andere Fragen stellen.

Und welche?
Als erstens sollten wir uns damit beschäftigen, was für eine Zukunft wir in der Bildung wollen. Überdies sollten wir fragen, ob das Bildungssystem vorwiegend auf dem Schreiben von Texten basieren soll oder auf anderen Interaktionsformen. Sollten wir nicht zurückkommen zum miteinander Sprechen und beispielsweise zu mündlichen Prüfungen? Oder dass wir vielleicht ganz anders bewerten müssen, was es bedeutet, gebildet zu sein.

Wie bewerten Sie das als Hochschulpräsident?
Für mich ist, einen tollen Text schreiben zu können, kein Zeichen dafür, gebildet zu sein. Von dem her wird die ChatGPT-KI an Hochschulen zumindest auf das Bildungsniveau der Studierenden keinen grossen Einfluss haben.

Der Artikel von Juliette Baur

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