Vom Homeoffice ins Metaverse: Arbeiten im virtuellen Raum

Digital

Handelszeitung – Yvonne Miller – Das Metaverse ist in aller Munde, auch wenn die Technologie noch in den Kinderschuhen steckt. Doch wie verändert sie die Arbeitswelt der Zukunft? Kaum haben wir akzeptiert, dass Meetings per Zoom oder Teams wohl auch in Zukunft zu unserem Arbeitsalltag gehören werden, steht schon die nächste digitale Revolution vor der Tür: das Metaverse. Der kollektive virtuelle Raum ist die Erweiterung des heutigen Internet.

Erste Musiker geben in der digitalen Parallelwelt bereits Konzerte und Weltkonzerne wie Nike und Gucci wagen im digitalen Universum ihre ersten Schritte. Aber auch Schweizer Unternehmen tasten sich langsam an das Metaverse heran.

Virtuelle Headsets als neues Arbeitsinstrument

Für Unternehmen stellt sich die Frage, ob das Metaverse nur ein vorübergehender Hype oder wirklich die Zukunft darstellt. Fakt ist, dass das Metaverse-Erlebnis bisher nur mit kostspieligem Equipment genutzt werden kann; zum Beispiel mit einem Virtual-Reality-Headset, das schnell mal 400 Franken kostet.

Gleichzeitig ist diese Technik, die zur Nutzung des Metaverse benötigt wird, noch zu gross und entsprechend zu unhandlich, um breitflächig akzeptiert zu werden. So wirkt die Vorstellung, dass zukünftig von zu Hause oder gar aus dem Zug mit einer aufgesetzten Oculus-Quest-Brille eine Teilnahme an einem Geschäftstermin erfolgt, noch nicht praxistauglich.

Warum das Metaverse noch lange Fiktion bleibt

Das Thema Metaverse hält die Wirtschaft in Atem. Die Schweiz ist an vorderster Front dabei. Doch die virtuelle Realität bleibt noch lange Fiktion. Abo. 

Wie so oft bei digitalen Trends sind es Digitalagenturen, die das Metaverse als erste Akteure ausprobieren und Erfahrungen sammeln. In der Schweiz hat sich die Zürcher Digitalagentur Kuble bereits früh mit den neuen Möglichkeiten des Metaverse auseinandergesetzt. Sie haben Büros in der virtuellen Welt eröffnet und halten dort gemeinsame Events und wöchentlichen Teammeetings ab.

Gustavo Salami, Gründer der Agentur und klarer Befürworter des Metaverse, zeigt sich überzeugt: «In den nächsten Jahren wird sich ein Grossteil der Dienstleistungen und Konsumgüter ins Metaverse verschieben.»

Enormes wirtschaftliches Potenzial

Welches wirtschaftliche Potenzial der virtuellen Parallelwelt zugemessen wird, zeigen aktuelle Prognosen des Finanzdiensts Bloomberg Intelligence: Bereits in zwei Jahren soll das Geschäft mit dem Metaverse rund 800 Milliarden US-Dollar umfassen. Entsprechend investieren Tech-Giganten wie Facebook und Microsoft hohe Summen in die Technologien rund um das Metaverse.

Microsoft hatte bereits im März 2021 mit Microsoft Mesh seine Pläne für ein Office im virtuellen Raum angekündigt. So soll das weitverbreitete Produkt Microsoft Teams den Nutzern erlauben, sich ins Metaverse zu begeben und virtuelle Meetings dank Virtual-Reality-Headsets persönlicher und unterhaltsamer zu erleben als bisher.

Facebook-Chef Mark Zuckerberg wiederum benannte letztes Jahr kurzerhand sein Unternehmen in Meta um. Das beweist, wie sehr Zuckerberg an die Zukunft des Internet im Sinne einer Verzahnung der echten und der digitalen Welt glaubt; eine Welt, in der wir nicht nur arbeiten, sondern auch spielen, lernen, einkaufen und gemeinsame Erlebnisse teilen. Um diese Welt entstehen zu lassen, will Zuckerberg in den kommenden Jahren über 10’000 zusätzliche Mitarbeitende einstellen.

Der Meetingraum im Metaverse

Wenn ein Schweizer Unternehmen wie Kuble entscheidet, seine Mitarbeitenden zukünftig nicht mehr im Büro oder per Video zusammenzurufen, sondern für das Teammeeting einen eigenen Raum im Metaverse zu schaffen, dann hat das heute durchaus noch etwas Avantgardistisches.

Vor allem ungewohnt ist der Gedanke, dass sich die Mitarbeitenden im Metaverse nicht mit ihrem äusseren «normalen» Aussehen begegnen, sondern von einem Avatar dargestellt werden und entsprechend das Aussehen frei wählen können.

Auf die Frage, was denn der konkrete Vorteil gegenüber den nun etablierten virtuellen Teammeetings per Video sei, erklärt Gustavo Salami: «Der Hauptvorteil ist das Gefühl, mit den anderen Mitarbeitenden im selben Raum zu sitzen.» Dabei sei das Raumgefühl ein ganz anderes als bei einem klassischen Video-Call: Im Metaverse begegne man einander als Avatar und nicht per Videoübertragung. Das Aufeinandertreffen im virtuellen Raum erlaube dabei eine bessere Akustik. «Im Meeting erkenne ich visuell und akustisch, wo jemand sitzt und wie nahe diese Person von mir im virtuellen Raum ist. Das unterstützt die immersive Erfahrung.»

Bei aller Euphorie rund um die neuen Möglichkeiten, die das Metaverse bieten wird, ist man bei Kuble dennoch reflektiert unterwegs. Für die breite Durchsetzung müsse sich noch einiges verändern, denn aktuell seien die Headsets schlicht noch zu gross und zu schwer, sodass nach längerer Zeit in einem Metaverse-Meeting auch mal der Nacken schmerze.

Schöne neue Arbeitswelt oder Horrorszenario am Arbeitsplatz?

Trotz dieser noch nicht ausgefeilten Technik ist die Nachfrage von Unternehmen, die die ersten Schritte im Metaverse ausprobieren wollen, gross. Gustavo Salami und sein Team betreuen diverse Unternehmen bei diesen Gehversuchen strategisch, aber auch konkret in der Umsetzung.

«Für eine Schweizer Bank haben wir kürzlich einen internen Event im Metaverse organisiert und ein Museum unterstützen wir dabei, seine historischen Objekte zukünftig auch im virtuellen Raum erlebbar zu machen», beschreibt er beispielhaft die Arbeit seiner Agentur für die Kunden. Die Beispiele von Gustavo Salami zeigen, dass das Metaverse nicht nur die klassische Arbeitswelt in den Büros verändern kann, sondern auch Museen und Konferenzen beeinflusst.

Für das Individuum stellt sich angesichts der gross inszenierten Präsentation der Tech-Konzerne wie Facebook oder Microsoft zur glamourösen Zukunft des Metaverse die Frage, welche Rolle sie bei diesen abenteuerlichen Visionen einnehmen werden. So gross die Hoffnungen und Versprechen des Metaverse auch sind, nach wie vor unklar bleiben die persönlichen Risiken, die damit einhergehen.

 

Rafael Huber, Organisationsentwickler und Psychologe, erklärt: «Die Konsequenzen des Metaverse sind für uns Individuen vielschichtig und noch nicht nachhaltig verstanden. Wir befinden uns mitten im Prozess der Veränderung.» Die fortschreitende Digitalisierung der Lebenswelt bringe viele Vorteile, gleichzeitig könne aber auch der steigende Druck, sich immer neuen Gegebenheiten anzupassen, die Leute krank machen. «Die gesellschaftlichen Veränderungsprozesse, wie wir sie die letzten Jahre intensiv erlebt haben, sind auch kräftezehrend», betont Huber.

Am Schluss entscheiden die Nutzer

Der Psychologe ergänzt, dass sich auch die Frage stelle, ob wir uns wirklich als Avatare in Meetings begegnen wollen. Selbst wenn sich ein Zusammenkommen in einer Welt voller Avatare tatsächlich etablieren würde, ist die Frage offen, was das mit uns als Menschen langfristig macht und welche psychologischen Effekte auftreten.

Huber stellt klar, dass es für den Siegeszug des Metaverse mehr braucht als eine ausgefeilte Technologie. Dabei seien Nutzerinnen und Nutzer diejenigen, die mitentscheiden, ob sich eine Technologie gesellschaftlich durchsetzt. Anwendende müssten die neue Technologie explizit nutzen wollen, was wiederum bedinge, dass die Technologie einfach anwendbar und für die Leute einen direkten Vorteil durch die Nutzung ermögliche.

Huber ergänzt: «Der wirkliche Transformationszauber entsteht in der Regel aus einer Vermischung verschiedenster Trends in Kombination mit katalysierend wirkenden und nicht vorhergesehenen Events.» Als Beispiel eines solchen Beschleunigers verweist er auf die Pandemie, denn «interessanterweise wirkte diese durch die Pandemie entstandene Mischung überfordernd und löste gleichzeitig auch kreative gesellschaftliche Prozesse aus».

Der Original-Artikel der Handelszeitung

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