Warum hat mein Mann ein Problem damit, dass er weniger verdient als ich?

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elleXX – Markus Theunert

Heute mit der Frage von Sonia (44): Was mache ich mit (m)einem Mann, der nicht darüber hinwegkommt, dass ich besser verdiene als er?

Liebe Sonia

Dein Mann ist kein Sonderfall. Eine – zugegebenermassen nicht repräsentative – Umfrage in einer geschlechterpolitisch durchaus reflektierten Stichprobe zeigt: Weniger zu verdienen als die eigene Partnerin ist auch für aufgeschlossene Männer – zumal unserer Generation – eine echte Knacknuss. Ich spreche nicht von einer kleinen Differenz. Ich spreche von der Schwierigkeit, als Mann einer grundsätzlich tieferen Lohnklasse anzugehören. Das löst eine ganze Menge aus. Und ist ziemlich emotional aufgeladen. Der Frust über den tieferen Lohn ist dabei nur das eine, die Scham über diesen Frust das andere. Denn meinen Befragten ist verstandesmässig allen klar, wie aus der Zeit gefallen es ist, sich durch eine finanziell potentere Frau an der Seite angegriffen und/oder verunsichert zu fühlen. Bloss fällt die Einsicht leichter als die Veränderung dieses Gefühls.

Weniger zu verdienen als die eigene Partnerin ist auch für aufgeschlossene Männer – zumal unserer Generation – eine echte Knacknuss.

 

Was du mit deinem Mann machen sollst, kannst nur du wissen. Ich kann dir immerhin helfen, ihn etwas besser zu verstehen. Vielleicht entlastet dich das von … ja, von was eigentlich? Ich würde gern wissen, was es mit dir genau macht, dass dein Mann mit deiner finanziellen Potenz weniger souverän umzugehen weiss, als du dir das wünschst. Empfindest du es als kleinkrämerisch? Anstrengend? Einschränkend? Oder doch auch irgendwie «unmännlich»?

Zentral fürs Verständnis des männlichen Unvermögens ist aus meiner Sicht die Einsicht: Männlicher Selbstwert ist aufgrund der Sozialisierung ganz eng mit Leistung verknüpft. «Ich leiste, also bin ich» lautet der erste Glaubenssatz, «ich leiste extrem viel, also bin ich extrem viel wert» der zweite. Oder wie es ein Gast an einer Podiumsdiskussion umgekehrt mal wunderbar auf den Punkt brachte: «Seit ich 80 Prozent arbeite, fühle ich mich nur noch als halbe Portion.»

Männlicher Selbstwert ist aufgrund der Sozialisierung ganz eng mit Leistung verknüpft: «Ich leiste, also bin ich» lautet der erste Glaubenssatz, «Ich leiste extrem viel, also bin ich extrem viel wert» der zweite.

 

Männlicher Selbstwert ist aufgrund der Sozialisierung ganz eng mit Leistung verknüpft: «Ich leiste, also bin ich» lautet der erste Glaubenssatz, «Ich leiste extrem viel, also bin ich extrem viel wert» der zweite.

Meine Vermutung ist also, dass dein Mann gar nicht in erster Linie unter dem tieferen Verdienst leidet. Sondern unter seiner Gleichsetzung von Verdienst mit Leistung und Leistungsfähigkeit. Dies vermittelt ihm das Gefühl, das schwächere Glied in eurer Gemeinschaft zu sein, der Unterlegene, der Bedürftige, der Abhängige. Ist er das vielleicht tatsächlich? Und vielleicht nicht nur im Finanziellen?

Die Gleichsetzung von Verdienst und Leistung ist nicht sein persönliches Problem: Wir haben uns als Gesellschaft nun mal darauf verständigt, unterschiedlichen Tätigkeiten unterschiedliche Wertigkeiten zuzuordnen. Zentraler Ausdruck von Wertigkeit ist die Höhe des Lohns. In unserem kollektiven Mindset fest verankert ist die Annahme, dass hoher Lohn mit hoher Leistung, grosser Verantwortung und Bedeutung einhergeht. Das ist natürlich Unfug. Denn es lässt sich schwerlich argumentieren, die Betreuung von Schwerkranken sei weniger anspruchsvoll, elementar und wichtig als die Betreuung von Aktien-Portfolios. Das Märchen von der grossen Verantwortung, die mit hohen Salären einhergehe, spiegelt eher die gesellschaftlichen Machtverhältnisse. In einer patriarchalen Gesellschaftsordnung wie unserer werden deshalb jene Berufe belohnt, die «männlich» und sachbezogen sind. «Weibliche» und menschenbezogene Berufe hält man schmal.

Aber zurück zu deinem Mann: Wenn er also  weniger verdient als du, dann dürfte das damit verbundene Gefühl der Kränkung in komplexer Weise verstärkt werden. Vermutlich verstrickt er sich in einem schwer entwirrbaren Geflecht von Annahmen über seine (geringere) persönliche Leistungsfähigkeit und seine (geringere) gesellschaftliche Anerkennung. Das  wiederum schmälert wahrscheinlich in seinen Augen seine gesellschaftliche Rolle und Bedeutung und schlägt insgesamt auf den Selbstwert. Tja, böse könnte man auch sagen: Er erfährt halt grad am eigenen Leib, wie sich die gesellschaftlich untergeordnete Position anfühlt, in die Frauen jahrhundertelang gezwungen wurden. Ich nehme an, dass du trotz tollem Lohn in anderen Bereichen diese Erfahrung kennst. Vielleicht kann das euch auch verbinden oder gar verbünden?

 

In unserem kollektiven Mindset verankert ist die Annahme, dass hoher Lohn mit hoher Leistung und grosser Verantwortung einhergeht. Das ist natürlich Unfug.

 

Damit ihr das Lohn-Thema als Paar besser bearbeiten könnt, empfehle ich auf jeden Fall eine doppelte Auseinandersetzung. Dir möchte ich eine ehrliche Selbstbefragung ans Herz legen: Was bedeutet dir deine grössere finanzielle Potenz? Ist dir der Unterschied wirklich egal? Oder geniesst du nur das Privileg, dich kraft deiner finanziellen Besserstellung gar nicht gross mit diesen schwierigen Zusammenhängen von Leistung, Anerkennung, Lohn und Selbstwert auseinandersetzen zu müssen? Deinem Mann empfehle ich eine Auseinandersetzung mit seinen Werten und seiner Wertigkeit. Viele Männer haben gelernt, Lebenswertigkeit an Leistungsfähigkeit zu knüpfen. Vielleicht steht einfach die Erkenntnis an: Ich bin allein aufgrund meines Da-Seins lebens- und liebenswert. Ich muss mir meine Existenzberechtigung nicht verdienen. Diese Einsicht wäre wahrscheinlich mehr wert als euer beider Lohn zusammen …

P.S. Diese Kolumne will – auf Wunsch von ellexx – einen patriarchatskritischen Blick auf Geschlechter-, Geld- und Gesellschaftsfragen werfen. Unserem Kolumnisten ist es wichtig, seine Unsicherheit darüber transparent zu machen, wo die Bereicherung durch eine reflektierte Männerperspektive aufhört und wo das «Mansplaning für Fortgeschrittene» beginnt.

Markus Theunert ist Gesamtleiter von männer.ch, dem Dachverband progressiver Schweizer Männer- und Väterorganisationen. Kontakt: theunert@maenner.ch.

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