Wie das Erinnern funk­tioniert und scheitern kann

for women

CSS Gesundheitspartner – Laura Brand

Unser Gedächtnis funktioniert anders als eine Festplatte, die Informationen exakt speichert und auf Abruf bereit­hält. Erinnerungen sind Rekon­struk­tionen vergangener Erlebnisse und entsprechend beeinflussbar. Sobald Menschen zurückblicken, ver­wech­seln und verfälschen sie einiges.

Ab wann sind Erinnerungen möglich?

Die Neurobiologie ist sich einig, dass sich niemand an die frühe Kindheit erinnern kann. Die ersten Erinnerungen entstehen im Alter zwischen vier und fünf Jahren – erst zu diesem Zeitpunkt ist das Gehirn dafür genug entwickelt. Wer meint, sich an die frühe Kindheit zu erinnern, hat wahrscheinlich falsche Erinnerungen geformt. Mit Hilfe von Kinderfotos ist es ganz einfach, das eigene Gedächtnis zu täuschen.

 

Welche Lebensphase erscheint uns besonders lebendig?

Wer auf sein Leben zurückblickt, erinnert sich in der Regel am besten an die Zeit zwischen dem 15. und 25. Lebensjahr. Die Gedächtnisforschung bezeichnet dieses Phänomen als Reminiszenzeffekt. 70% der Erinnerungen eines Menschen beziehen sich auf das erste Lebensdrittel. In dieser Phase machen, gemäss Psychologie­historiker Douwe Draaisma, viele Menschen emotional prägende «Pioniererfahrungen» – die erste Liebe oder der erste Arbeitstag. In den restlichen beiden Lebensdritteln sind nur noch 30% der Erinnerungen verortet, da Pioniererfahrungen seltener werden.

Wie bleiben Erinnerungen im Gedächtnis hängen?

Gedächtnis ist die Fähigkeit des Nervensystems, Informationen zu speichern und abzurufen. Es gibt 3 Formen von Gedächtnis:

  1. Das sensorische Gedächtnis nimmt Informationen für kurze Zeit auf (weniger als eine Sekunde) und ermöglicht dem Gehirn, die Umgebung laufend wahrzunehmen.
  2. Als Informationsverarbeitungssystem speichert das Arbeitsgedächtnis flüchtige Gedanken aus dem sensorischen Gedächtnis.
  3. Erst das Langzeitgedächtnis speichert grosse Mengen an Informationen permanent ab.

 

Emotionen steuern das Speichern der Erinnerung

Das Erinnern beginnt im Hippocampus. Dieser Bereich liegt tief unten im Schläfenlappen des Gehirns und speichert, was im Kopf vor sich geht. Emotionen spielen dabei eine wichtige Rolle. Jede bewusste Erinnerung ist mit einem Gefühl gekoppelt. Je emotionaler ein Erlebnis war, desto stärker erinnert sich ein Mensch daran.

 

Bewegende Erfahrungen wie Bestrafungen, Demütigungen oder Erfolge hinterlassen tiefe Spuren im Gedächtnis

 

Wenn das Gedächtnis versagt

Laut Psychologe Daniel Schacter gibt es «sieben Gedächtnis­sünden». Dazu zählen Vergessen, geistige Blockaden oder gedankliche Abwesenheit. Diese «Sünden» sind lästig, aber notwendig. Nur so kann das Gehirn irrelevante Infor­mationen abstossen. Gedächtnisversagen ist eine gesundheitliche Belastung, wenn es in Form einer Amnesie oder von wiederkehrenden Erinnerungen auftaucht.

 

Warum funktioniert das Speichern nicht mehr?

Amnesie ist ein Defizit im Langzeit­gedächtnis. Ausgelöst wird es durch Gehirnverletzungen, Erkrankungen oder Traumata. Es gibt 2 Formen von Amnesie:

  • Bei einer retrograden Amnesie werden sämtliche Erinnerungen gelöscht, die vor dem betreffenden (traumatischen) Ereignis passiert sind.
  • Wer an einer anterograden Amnesie leidet, ist unfähig neue Erinnerungen abzuspeichern.
Wann sind Erinnerungen «unerwünscht»?

Viele Menschen erinnern sich an unerfreuliche oder peinliche Erlebnisse – oft in Stresssituationen. Belastende oder traumatische Erlebnisse kommen als wiederkehrende Erinnerung zurück, beispielsweise als Flashback bei Personen, die an posttraumatischen Belastungs­störungen leiden. In solchen Momenten können sie ihre Erinnerungen nicht mehr kontrollieren.

 

Verzerrte Erinnerungen

Menschen rekonstruieren Erlebnisse aus der Vergangenheit so, dass sie zum gegenwärtigen Selbstbild passen. Wer gesteht sich gerne ein, eine vor 20 Jahren gescheiterte Beziehung nicht selbst beendet zu haben? Das führt dazu, dass Erinnerungen sich mit der Zeit von der erlebten Realität unterscheiden. Erinnerungen aktiv zu verdrängen oder unterdrücken ist hingegen nicht möglich.

 

Gibt es «falsche» Erinnerungen?

Es ist schwierig, zwischen falschen und wahren Erinnerungen zu unterscheiden. Eine falsche Erinnerung ist keine Lüge. Vielmehr ist es das, woran sich die Person bei Erzählungen oder in Gedanken festhält. Oft ist es so, dass falsche Erinnerungen im Verlauf der Zeit detailreicher werden. Meist betreffen diese Veränderungen nicht den Kern einer Erinnerung, sondern lediglich die Details.

 

Können Erinnerungen unterdrückt werden?

Dieses Thema wird kontrovers diskutiert. Manche Herangehensweise beim vermeintlichen Aufdecken von unterdrückten Erinnerungen ist suggestiv und trägt zu falsch aufgedeckten Erinnerungen bei. Studien haben gezeigt, dass Menschen traumatische Erlebnisse nicht unterdrücken können. Kriegsveteranen zum Beispiel leiden an ihren Erinnerungen, weil sie Bilder nicht mehr aus dem Kopf bekommen.

 

Belastende Ereignisse mit Hilfe einer Psychotherapie neu bewerten.

In der Psychotherapie – zum Beispiel bei der EMI-Therapie – werden Erinnerung «neu programmiert». Das heisst, belastende Ereignisse wie (Trauma etc.) werden neu bewertet und so in eine Erinnerung transformiert, die für Patienten weniger belastend sind.

 

Wenn die Erinnerungen einen nicht mehr loslassen

Wer von negativen oder traumatischen Erlebnissen aus der Vergangenheit heimgesucht wird, sollte unbedingt etwas für seine psychische Gesundheit unternehmen. Schlafprobleme, Antriebslosigkeit, Unkonzentriertheit und Überforderung sind Warnsignale. Über Probleme, Ängste und negative Gefühle zu sprechen, gibt Kraft und ist der erste Schritt aus der negativen Vergangenheit in die positive Zukunft.

Sponsoring