Anne Challandes, Präsidentin des Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverbands und Vizepräsidentin des Bauernverbands.

NEWS

Swisslife – Das Leben auf dem Hof ist eine Mischung aus Selbstbestimmung und unkontrollierbaren Elementen

Anne Challandes setzt sich dafür ein, dass Landfrauen ein selbstbestimmtes Leben führen können. Dafür bräuchten sie einen eigenen Lohn und ein eigenes Konto – sowie den Mut, Unangenehmes auf den Tisch zu bringen.

Wie selbstbestimmt lebt eigentlich ein Esel? Nehmen wir das Beispiel von Jules, der auf dem Hof von Anne Challandes in Fontainemelon NE ein gemächliches Leben führt, ein Leben ganz in seinem Trott. Und auch wenn er manchmal am Strick geführt wird: Der schwarze Esel hat seinen Willen. Das respektiert man auf dem Biohof der Challandes. Zum Beispiel jetzt, wo Jules in den Stall kommen soll. «Kommst du? Oder machst du einen Stein?», fragt ihn Anne Challandes liebevoll und zieht ein bisschen am Strick.

Anne Challandes, 53, ist Präsidentin des Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverbands und Vizepräsidentin des Bauernverbands. Sie setzt sich dafür ein, dass Bäuerinnen in der Schweiz ein selbstbestimmtes Leben führen können. Das ist nicht selbstverständlich – noch nicht, geht es nach Anne Challandes. Zugespitzt könnte man sagen: Viele Bäuerinnen und Landfrauen in der Schweiz haben den Strick fest in der Hand, ziehen auf dem Hof mit, haben aber, wenns hart auf hart kommt, doch nichts in der Hand. Das ist zugespitzt – aber eben nicht falsch. Denn rund 70 Prozent der Frauen arbeiten auf den Bauernhöfen der Schweiz unentgeltlich. Und stehen im Fall einer Trennung oder einer Scheidung mit leeren Händen da. Genau das will Anne Challandes ändern.

Gibt es einen Schlüsselmoment in Ihrem Leben, in dem Sie festgestellt haben: Selbstbestimmung ist mir wichtig?
Ja, den gibt es. Als junge Juristin suchte ich nach einer Praktikumsstelle, beim Vorstellungsgespräch wurde ich mit der Frage konfrontiert, ob ich als Frau wirklich Anwältin werde wolle. Das hat mich bestärkt, diesen Weg weiterzugehen, mich durchzusetzen. Damit diese Frage in Zukunft jungen Frauen nicht mehr gestellt wird. Da findet sich auch der Kern meiner Überzeugung: Frauen müssen in allen Bereichen mehr Verantwortung übernehmen und selbstbestimmt sein.

Weshalb setzen Sie sich für die Selbstbestimmung von Bäuerinnen und Landfrauen ein?
Es gibt eine Zahl, die die Dringlichkeit des Engagements veranschaulicht: gegen 70 Prozent der Frauen auf den Bauernhöfen in der Schweiz arbeiten unentgeltlich auf dem Hof mit. Das Problem: Ohne Entlöhnung gibt es keine ausreichende soziale Absicherung.

Was heisst das konkret?
Diese Frauen sind eine wichtige Säule im Betrieb. Sie sind eine Stütze, ihre Arbeit ist essenziell. Wird sie nicht entlöhnt, stehen diese Frauen im Falle einer Trennung oder einer Scheidung mittellos da. Das heisst auch, dass ihre Sicherheit und ihre Vorsorge alleine von ihrem Mann abhängig sind. Das ist ein Problem für die Frauen und für die ganze Familie. Denn ohne Lohn erhalten Frauen zum Beispiel auch keine Mutterschaftsversicherung.

Wie wollen Sie diesen Missstand beheben?

Es gibt zwei Ebenen, auf denen wir handeln. Wir müssen die Frauen sensibilisieren und auf ihre Rechte aufmerksam machen. Indem sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen, können Bäuerinnen und Landfrauen an Entscheidungen teilhaben oder sogar ihren eigenen landwirtschaftlichen Betrieb führen. Auf der anderen Seite müssen wir die Familien ansprechen: Der Schutz der Frau liegt ebenfalls in der Verantwortung und im Interesse des Ehepartners, der oft Betriebsleiter oder -besitzer ist. Ich weiss, es ist nicht sehr romantisch: Aber als Paar muss man sich auch mit den unangenehmen Fragen auseinandersetzen.

Die wären?
Was passiert bei einem Todesfall? Einer Invalidität? Wie regeln wir die Trennung oder gar die Scheidung? Da wären wir wieder bei Ihrem Klischee: Wir haben in der Landwirtschaft mittlerweile eine Scheidungsrate, die fast genauso hoch ist wie in der übrigen Gesellschaft. Das führt zu problematischen Situationen der Ehefrau oder des Ehepartners, der nicht Eigentümer ist, aber stets im Betrieb mitgearbeitet hat. Er oder sie steht mit leeren Händen da.

Was motiviert Sie, das zu ändern?
Es ist das Gefühl, dass ich nützlich sein und etwas beitragen kann. Ich habe Erfahrung und einiges an Wissen, um Dinge voranzubringen. Und ich weiss, was es heisst, auf einem Hof zu leben und zu arbeiten. Das gibt mir die nötige Glaubwürdigkeit.

Wo stehen Sie in diesem Prozess?
Wir haben noch viel Arbeit vor uns. Wir müssen Männer und Frauen dazu bringen, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Das versuchen wir Landfrauen aktuell gemeinsam mit unseren Partnern mit dem Projekt «Verantwortung wahrnehmen. Fürs Leben rüsten». Auf der anderen Seite setzen wir uns dafür ein, Rahmenbedingungen zu schaffen, die solche Regelungen ermöglichen und vereinfachen.

Sie wissen als Anwältin um die dunklen Seiten des Lebens. Haben Sie sich damals entsprechend abgesichert?

Sponsoring