Schweizer Firmen tanzen auf Tiktok

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Handelszeitung – Tina Fischer – 

Seit 2006 war Google der unangefochtene Platzhirsch im Ranking der meistbesuchten Websites. 15 Jahre später folgt ein Schlagabtausch an der Spitze: Das chinesische soziale Netzwerk Tiktok hat Google im Jahr 2021 als meistbesuchte Website entthront.

Auch als die App, die am meisten heruntergeladen wurde, belegte Tiktok im vergangenen Jahr zum zweiten Mal den ersten Rang; vor Instagram, Facebook und Whatsapp.

Im Gegensatz zu einem Auftritt auf den letztgenannten Social-Media-Plattformen zögerten aber viele Schweizer Firmen damit beim chinesischen Portal. Bis jetzt. «Schweizer Firmen haben das ungeheure Potenzial von Tiktok entdeckt», sagt Mike Schwede, Eigentümer der gleichnamigen Marketingagentur. Über Tiktok würden Firmen neue Vertriebskanäle erhalten und eine bisher wenig angesprochene Zielgruppe, die Generation Z, erreichen.

Zahlen von Schwedes Agentur zeigen, dass die Anzahl der auf Tiktok vertretenen Firmen seit April 2020 sprunghaft von knapp 20 auf heute über 120 angestiegen ist.

Tiktok als Sprachrohr der Generation Z

Das Interesse und das Potenzial sind begründet. Einerseits bewegt sich vor allem die Generation Z auf der Plattform: 40 Prozent aller User sind zwischen 18 und 25 Jahre alt, ein Viertel noch jünger. Anderseits hat die Plattform ihr Potenzial für Spontankäufe bewiesen. Eine Studie des britischen Marktforschungsinstituts Walnut Unlimited im Jahr 2020 zeigte auf, dass Tiktok 71 Prozent der Befragten bereits zu Spontankäufen animierte. Facebook und Snapchat (je 67 Prozent) oder Instagram (65 Prozent) erreichen diesen hohen Wert nicht.

Diese junge Zielgruppe, gepaart mit der Möglichkeit neuer Vertriebskanäle, animiert auch Schweizer Firmen, die Social-Media-App mit Inhalten zu bespielen. SBB-Mediensprecherin Jeannine Egi begründet die Motivation der SBB damit, dass sie alle Zielgruppen erreichen wollen und es durch die starke Zunahme der App-Nutzung ein logischer Schritt war, auf der Plattform präsent zu sein. Auch Sabrina Hubacher von der Swisscom schlägt in dieselbe Kerbe: «Swisscom will alle Zielgruppen ansprechen, und Tiktok ist ein hervorragender Kanal, um eine junge Zielgruppe zu erreichen.»

 

«Ein älterer CEO, der die Lippen zu einem bekannten Song bewegt, das ist nicht das Erfolgsrezept.»

MICHÈL KESSLER, ZEAM

 

Diese Entwicklung ist für den 24-jährigen Michèl Kessler von der Marketingagentur Zeam nachvollziehbar. «Über Tiktok kann man die Generation Z dort abholen, wo sich ihre Lebenswelt abspielt. Tiktok ist wie ein riesiger Spielplatz, der zum Ausprobieren einlädt», erklärt er. Aber wie auf einem Spielplatz bestünden auch auf Tiktok Spielregeln, die für einen erfolgreichen Auftritt gelten. «Junge Leute wollen junge Leute sehen und sich mit ihnen identifizieren», so Kessler. «Ein älterer CEO, der die Lippen zu einem bekannten Song bewegt, das ist nicht das Erfolgsrezept.»
Ratschläge für einen effizienten Auftritt

Marina Fischer von der Social-Media-Agentur Finna erwähnt ebenfalls, dass Spielregeln gelten. «Einer der grössten Fehler ist, das Tiktok-Profil nicht aktiv zu bewirtschaften», nennt sie als erste und wichtigste Regel. Ausprobieren ja, aber eine durchdachte Strategie sollte den Rahmen bilden. «Ein regelmässiger Output ist wichtig, um eine nachhaltige Community aufzubauen und nicht gleich wieder von der Bildfläche zu verschwinden.» Als Faustregel rät sie zu zwei neuen Videos pro Woche, eine höhere Kadenz sei durchaus wünschenswert.

Einen zweiten Ratschlag umschreibt Michèl Kessler: «Bei jedem Video stehen die gleichen Fragen im Zentrum: Was ist der Mehrwert dieses Videos? Was wollen wir als Unternehmen mitteilen?» Dabei sei es unabdingbar, dass die Themen die junge Generation bewegen und die Firmen der Zielgruppe auf Augenhöhe begegnen. Das Stichwort «Storytelling» steht im Mittelpunkt.

Anstatt Werbevideos wie im Fernsehen sollen Firmen auf Tiktok ihre Geschichte in einem Video erzählen. Wiedererkennungseffekte entstehen durch im Video sichtbare Firmenprodukte oder Mitarbeitende, die von ihrem Arbeitgeber erzählen. So ist beispielsweise das erfolgreichste Video der Swisscom ein Beitrag über Diversity im Unternehmen, in dem die Diversität der Mitarbeitenden gezeigt wird. Weitere Videos, mit denen sie ihre Zielgruppe erreicht, thematisieren laut Hubacher Nachhaltigkeit, ICT-Hardware oder zeigen praktische Handy-Tricks.

Schweizer Firmen auf Tiktok
Auf Tiktok sind die Anzahl der Follower, die Reichweite, die Anzahl Kommentare oder die prozentuale Interaktion relevante Kennzahlen. Entsprechend der Kennzahl variieren die Rankings stark.

Das wiederholte Zeigen von Tricks, wie das die Swisscom macht, generalisiert Kessler als weiteren Ratschlag: «Tiktok ist vor allem bekannt für Trends, bei denen beispielsweise alle zum selben Lied tanzen. Dabei ist es aber schwierig, aus der Masse herauszustechen. Deshalb sollten Firmen in eigenen Formaten denken und das für sich passende finden.» Im Falle der Swisscom seien das die Handy-Tricks, die regelmässig in ähnlichen Videoformaten gezeigt werden.

Das können aber auch typische Handbewegungen sein wie beispielsweise das Schulterzucken des bekanntesten europäischen Tiktokers Khabane «Khaby» Lame oder auch eine Person, die zum Gesicht der Firma wird. «Durch wiederkehrende Formate erhalten Firmen einen individuellen und kreativen Charakter auf Tiktok, der beim Endkonsumenten auf viel Popularität stösst und im Gedächtnis hängen bleibt», unterstützt Fischer die Erstellung von Formaten.

Schwede umschreibt Formate als «Sweet Spot» der Tiktok-Strategie und meint, dass, wenn dieser gefunden werde, Tiktok auch kleinen Brands die Möglichkeit gebe, ohne bezahlte Werbung virale Hits zu landen und die Bekanntheit zu steigern.

Authentizität für Verkaufssteigerung

Laut Marina Fischer sind Beispiele für kleine Firmen, die auf Tiktok eine grosse Reichweite haben, die Kleidermarke Nikin oder der Online-Shop für Zimmerpflanzen Feey. Beide unterhielten, informierten, interagierten und seien dabei authentisch. Diese Authentizität sei das, was die Generation Z suche. Testet beispielsweise die immer gleiche Person die Produkte eines Unternehmens und berichtet auf Tiktok vertrauenswürdig über die Erfahrungen, verlassen sich die Betrachter auf dieses Urteil und entsprechend steigt deren Kaufbereitschaft.

Unternehmen, die keine Produkte, sondern Dienstleistungen anbieten oder die Zahl der Bewerbungen von Auszubildenden erhöhen wollen, rät Kessler, ebendiesen den Kanal zu überlassen. Die Lernenden des Unternehmens wissen, welche Fragen potenziell Interessierte haben, und können ihnen einen direkten Einblick in den Alltag geben.

Auf Nachfrage bezüglich einer Steigerung der Bewerbungen von Lernenden oder der Verkaufszahlen bei der Swisscom antwortet Hubacher: «Ein direktes Ummünzen auf Anzahl verkaufte Abos oder Bewerbungen ist ganz grundsätzlich nicht möglich. Wir spüren aber unsere frühe Präsenz auf Tiktok beim zunehmenden Dialog mit potenziellen Lernenden auf Tiktok, und unsere Mitarbeitenden im Shop werden ebenfalls regelmässig auf den Kanal und die dort thematisierten Inhalte angesprochen.»

Solche positiven Erfahrungen aus der Praxis sowie die steigenden Nutzerzahlen von Tiktok sprechen für sich. Trotz den anhaltenden Kritiken und Untersuchungen rund um den Daten- und Jugendschutz wächst die Plattform rasend schnell. Grund genug also für Schweizer Firmen, aufzuspringen.

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